Pressemitteilung vom 22.09.2022

Einflussnahme des Bundesumweltministeriums bei der Standortempfehlung für Würgassen

 

Mehr als zweieinhalb Jahre sind vergangen, seitdem die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) das Weserbergland mit dem Vorhaben der Errichtung eines zentrales Bereitstellungslagers (ZBL) für Atommüll in Würgassen überraschte. Seither stellt sich eine wachsende Zahl von Anwohnern, Bürgerinitiativen und politischen Vertretern den Planungen entgegen. Die gutachterliche Bewertung des TÜV Nord, dass ein ZBL keinen signifikanten Vorteil bei der Endlagerung erbringt, als auch die Kritik an der Standortauswahl, wurde von den Vorhabenträgern nahezu vollumfänglich ignoriert. Immer wieder verwiesen neben der BGZ auch die ehemalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze und der seinerzeit verantwortliche Staatssekretär Jochen Flasbarth auf die positive gutachterliche Prüfung durch das Öko-Institut Darmstadt. Diesen Gutachten zur Standortfindung und Standorteignung fehlt nach Ansicht der Bürgerinitiative „Atomfreies 3-Ländereck e.V.“ jede Legitimität.

 

Der Grund für diese Beurteilung ist ein öffentlich zugängliches Dokument, welches die umfangreiche Korrespondenz zwischen dem Bundesumweltministerium (BMU, heute BMUV) und dem Öko-Institut offenbart. Transparent wird der Erstellungsprozess der Gutachten dargestellt. Dabei zeigt die 221 Seiten umfassende Unterlage eine massive Einflussnahme durch das BMUV als Auftraggeber gegenüber dem Öko-Institut. Die Bürgerinitiative hat das Dokument von Rechtsanwalt Philipp Heinz aus Berlin prüfen lassen. Die rechtliche Stellungnahme durch den Anwalt fällt nach erfolgter Sichtung vernichtend aus: „Aus dem Dokument ergibt sich recht deutlich eine Unverwertbarkeit. Die massive Beeinflussung und bewusste Änderung der Wirkungen der zentralen gutachterlichen Aussagen durch das BMUV sowie das Einlassen darauf durch das Öko-Institut führen dazu, dass von einem unabhängigen Sachverständigengutachten nicht die Rede sein kann. Damit hat es jede Legitimität eingebüßt und darf nicht als Grundlage für den weiteren Genehmigungsvorgang eingesetzt werden.“, schreibt Rechtsanwalt Heinz als Fazit in seiner umfangreichen Stellungnahme.

 

Nun sind die Ausarbeitungen des Öko-Institut Darmstadt nicht irgendwelche Gutachten, sondern stellen die zentrale Beurteilung zur Legitimierung des Standortorts Würgassen als Deutschlands erstes Bereitstellungslager für ein Endlager dar. Die Öffentlichkeit hat selbstverständlich auf eine wissenschaftlich fundierte und neutrale Beurteilung vertraut, welche vor allem durch das verantwortliche BMUV als Kontrollinstanz überwacht werden sollte. Diesem Vertrauen der Bürger in die Instanzen wurde man nicht gerecht. Wie wenig ergebnisoffen und fundiert die Gutachten des Öko-Institut zustande gekommen sind, zeigt unter anderem der zeitliche Ablauf der Erstellung: Am 16.10.19 erfolgte die Beauftragung durch das BMUV. Innerhalb von nur sechs Wochen sollten die Unterlagen fertiggestellt werden. Mangels Zeit mussten die Gutachten auf Weisung des BMUV bereits vor dem einzig erfolgten Vor-Ort-Termin, welcher der persönlichen Erkundung der Gegebenheiten durch die Gutachter diente, ausschließlich auf Unterlage der BGZ ausgearbeitet werden. Der Vor-Ort-Termin fand im Anschluss am Freitag, den 29.11.2019 statt. Da das Ziel im November mit den Gutachten fertig zu werden zumindest in etwa eingehalten werden sollte, verlangte das BMUV die finalen Fassungen spätestens am 02.12.2019, womit die Möglichkeit einer Korrektur und/oder Ergänzung durch die Gutachter auf ein Wochenende reduziert wurde.

 

Schlimmer noch: Schon während der Erstellungsphase nahm das BMUV, aber auch der verantwortliche Projektleiter der BGZ Einfluss auf die Inhalte. Dem delikaten Schriftverkehr sind u.a. Statements wie „Erste orientierende radiologische Ausbreitungsbetrachtungen [...] deuten auf eine Eignung der Fläche hin“, zu entnehmen. Eine Berechnung, welche dem Öko-Institut als Grund zur Pauschalisierung des zu geringen Abstands zur Wohnbebauung benannt, und mit welcher der Verbleib des Standorts Würgassen im Flächenpool der BGZ gegenüber den Gutachtern gerechtfertigt wurde. Wie sich später herausstellte existierte diese Berechnung für Würgassen zu diesem Zeitpunkt nicht. Die von der ESK geforderte Betrachtung im Einzelfall hatte nicht stattgefunden, stattdessen heißt es von der BGZ gegenüber dem Öko-Institut: „Solche Einzelbebauungen sind kein Ausschlusskriterium und sind z.T. auch bei anderen ausgewiesenen Flächen [...] vorhanden“ - eine denkbar fragwürdige Argumentation, entgegen der Vorgabe der ESK.

 

Dem nicht genug, mangelt es aufgrund weiterer Defizite an der Möglichkeit einer Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit der Bewertung durch die Gutachten. „Weil die Erstbewertung des Standorts Würgassen in dem auf einen Tag später datierten (aber parallel erarbeiteten) Gutachten des Öko-Instituts mit dem Titel „Bewertung der grundsätzlichen Eignung des Standorts Würgassen für die Errichtung und den Betrieb eines Zentralen Bereitstellungslagers Konrad (ZBL)“ zu dem Ergebnis kommt, dass beim Standort Würgassen mehrere Anforderungen der ESK, die exakt für das LoK entwickelt wurden, gerade nicht bestehen (2-gleisiger Bahnanschluss) bzw. nicht nachgewiesen wurden (Hochwasserfreiheit) und eine Reihe weiter Kriterien nicht prüfbar waren. Dabei legt das Öko-Institut im Standortgutachten genau diese ESK-Standortkriterien der eigenen Prüfung zu Grunde. Es ist weder nachvollziehbar noch schlüssig, einen Standort als geeignet herauszustellen, der die der Prüfung zu Grunde gelegten Standortanforderungen gerade nicht erfüllt.“, schreibt Rechtsanwalt Philipp Heinz in seiner Stellungnahme und ergänzt: „Nachvollziehbar wäre u.U. gewesen, wenn das Öko-Institut eben nicht den Eindruck der besonderen Geeignetheit von Würgassen in den Vordergrund gestellt hätte, sondern deutlich darauf hingewiesen hätte, dass die Geeignetheit des Standorts noch gar nicht festgestellt werden kann, weil einerseits ESK-Anforderungen nicht erfüllt bzw. nicht nachgewiesen worden sind und andererseits bei weiteren Kriterien bisher noch keine ausreichenden Informationen für eine Prüfung vorliegen.“

 

Dass die ersten Entwürfe des Standortgutachtens zunächst in die vorgenannte Richtung gingen, geht aus der Korrespondenz zwischen dem BMUV und dem Öko-Institut hervor. So spricht der Entwurf vom 02.12.2019 gerade nicht vom geeignetsten Standort, sondern einschränkend von einem „vergleichsweise geeigneten“ Standort. Auch im Entwurf vom 06.12.2019, der offenbar nach mehrfacher Intervention des Auftraggebers entstand, spricht das Öko-Institut noch von einem „im Vergleich geeigneten Standort“. Auf weitere Gespräche mit dem BMUV wurde, zu Recht noch immer relativierend, aus einem vergleichsweise geeigneten Standort ein „trotzdem der geeignetste Standort“. Um dies fachlich noch irgendwie schlüssig zu halten, hatte das Öko-Institut in diesem Entwurf in der Zusammenfassung einiges an Kritik aufgegriffen. Das führte zu einem massiven Eingreifen des BMUV. In einer E-Mail vom 19.12.2019  schreibt das BMUV an die Projektverantwortliche beim Öko-Institut u.a.: „wie bereits telefonisch erörtert, scheint es aus hiesiger Sicht notwendig, dass Sie den Entwurf der beiden Gutachten noch einmal überarbeiten.“

 

Zur vermeintlich besten Geeignetheit des Standortes Würgassen:

 

„Dies sollte dann auch von Ihnen deutlich formuliert werden. Aktuell liest sich das im Gutachten in der Gesamtdarstellung bedauerlicherweise nicht so. [...] Unter diesem Gesichtspunkt habe ich die Stellungnahme nochmal angesehen und würde die Umsetzung nachfolgender Empfehlungen für erforderlich halten [...]“

 

Nach diesem Ermahnungsschreiben wurden umfangreiche Korrekturvorschläge seitens des BMUV vom Öko-Institut fast eins zu eins umgesetzt. Textpassagen wurden gestrichen, Absätze wurden umgruppiert, Inhalte nach ihren Vorgaben und Interessen „positiv“ angepasst und kritische Passagen aus dem abschließenden Fazit des Gutachtens, mit dem Verweis, dass eben dieser Teil des Gutachtens am ehesten gelesen wird, entfernt. 

 

Entsprechend deutlich fällt das Fazit von Rechtsanwalt Philipp Heinz aus: „Auf massives Betreiben des BMUV hat das Öko-Institut seine - aus fachlich zutreffenden, vom BMUV inhaltlich nicht bezweifelten, Gründen - zurückhaltende und relativierende Bewertung den Standortes Würgassen aufgegeben. Der finale Duktus der Zusammenfassung der Standortbewertungen unterscheidet sich sehr stark von den fachlich erarbeiteten Vorfassungen. Inhaltliche Gründe, wie neue oder ergänzende gutachterliche Erkenntnisse, gab es dafür nicht. Vielmehr wurde letztlich das in die Zusammenfassung geschrieben, was das BMUV sehr deutlich verlangte, nämlich eine „glasklare Aussage“ für Würgassen“.

 

Dass das BMUV mit „Gefälligkeitsgutachten“ die Bevölkerung und politische Entscheidungsträger auf Bundes-, Landes-, und kommunaler Ebene zu beschwichtigen versucht, nährt den Boden für Spekulationen. Im Zentrum der Kritik steht hierbei die Funktion und das Handeln von Staatssekretär Jochen Flasbarth. Dieser bezeichnete laut Medienberichten in einer nicht öffentlichen Sitzung des Bundesumweltausschuss im September 2020 das ZBL als „seine Idee“: Bereits 2014 sei er zu der Erkenntnis gekommen, dass die Einlagerung des schwach- und mittelradioaktiven Abfalls in das Endlager Konrad ohne so ein Logistikzentrum nicht funktionieren könne. Deshalb hatte er 2018 die BGZ mit der Standortsuche für ein Logistikzentrum beauftragt. Übrigens war der Staatssekretär von 2017 bis 2018 zwischenzeitlich selbst Chef der BGZ. Damit war er Ideengeber, später Auftraggeber und Kontrollinstanz in einer Person, um zugleich als Geschäftsführer der BGZ selbst Vorhabenträger zu sein.

 

In Anbetracht all dieser Tatsachen vermuten viele Bürger, dass der freiwillig durchgeführte Standortfindungsprozess für das Bereitstellungslager nur eine Initiierung seitens des BMUV war, um den von vornherein definierten Standort Würgassen als „den geeignetsten“ darzustellen. Ein Eindruck, welcher durch die Korrespondenz zwischen dem BMUV und dem Öko-Institut bekräftigt wird. Dass neben dem Hauptgutachten des Öko-Instituts nun auch alle weiteren Teilbeurteilungen in Bezug auf Würgassen wie Geologie, Transport usw. unter ähnlicher Einflussnahme erstellt wurden und werden ist zu befürchten.

 

Bereits im Herbst 2020 äußerte der aktuelle Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr in NRW, Herr Oliver Krischer, schwere Bedenken an der Standortherleitung der BGZ im Auftrag des BMUV: „Ich möchte dem SPD-geführten Umweltministerium absolut nichts unterstellen, aber wichtige Fragen sind bisher nicht beantwortet worden.“ ließ er in seiner Pressemitteilung im Anschluss an seinen Vor-Ort-Besuch in Beverungen mitteilen. Eine Einschätzung, welche sich im aktuellen Koalitionsvertrag der schwarz/grünen Landesregierung in NRW offenbar widerspiegelt: „Im Zusammenhang mit dem geplanten Bereitstellungslager für schwach- und mittrelradioaktive Abfälle am Standort Würgassen steht neben den Kriterien der Standortauswahl auch die Frage nach der Notwendigkeit im Raum.“ heißt es dort. Spätestens nach den heutigen Erkenntnissen sollte der aktuell in Regierungsverantwortung stehende Minister seinen Worten Taten folgen lassen.

 

Die Bundesumweltministerin teilt aktuell über Ihre Staatssekretäre mit, dass Sie sich ein eigenes Bild über die Standortfindung mache. Nach nunmehr zehn Monaten Regierungsverantwortung wird das Vorgehen der BGZ jedoch noch immer toleriert. Immerhin verwiesen die beiden Staatssekretäre des BMUV, Herr Stefan Tidow und Herr Christian Kühn, nach Ihrem Besuch in Würgassen im Mai 2022 darauf, dass man die Kritik am Standort ernst nehme und das Ergebnis des Logistikgutachten der Bundesländer abwarten werde. Dabei solle auch die Expertenmeinung der ESK eingeholt werden um die entgegengebrachte Kritik u.a. der Bürgerinitiativen zu prüfen. Das aber bedeutet im Fall Würgassen, dass sich die Projektleiterin für das Gutachten des Öko-Instituts selbst prüfen müsste, da sie Mitglied des ESK ist. Wie soll ein solches Vorgehen für objektiv erachtet werden?

 

 

Bundesumweltministerin Steffi Lemke muss aufpassen, dass ihr der Prozess der Atommüllentsorgung nicht gänzlich entgleitet. Fatal wäre es, wenn das Beispiel Würgassen für andere Standortfindungsprozesse, auch für hochradioaktiven Müll, welche durch das Nationale Begleitgremium (NBG) begleitet werden, von der Bevölkerung als Blaupause gewertet würden. Sollte Frau Lemke als verantwortliche Bundesumweltministerin im Fall Würgassen nicht umgehend Klarheit schaffen, droht ein massiver Vertrauensverlust in den gesamten Prozess der Atommüllentsorgung. Eine Einschätzung, welche auch der ehemalige Bundesumweltminister und Vorsitzende des NBG, Prof. Dr, Klaus Töpfer gegenüber dem WDR äußerte: „Viel Vertrauen der Bevölkerung in die Entscheidung der Kernenergie ist zerstört worden. Alles muss getan werden, wenn die Erbstücke dieser schwierigen Technik zu bewältigen sind, dass wieder Vertrauen aufgebaut wird. Genau das ist im Fall Würgassen nicht passiert – ganz im Gegenteil“. Der von Herrn Töpfer geforderte Aufbau von Vertrauen kann nur erfolgen, wenn ein neuer und transparenter Entscheidungsprozess unter sachlich, fachlichen Kriterien angestoßen wird. Dafür bedarf es der sofortigen Abkehr vom Vorhaben in Würgassen und die Einstellung aller Aktivitäten in der Sache.

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